Partner statt Anwalt
Ärzte verabschieden sich vom überholten Rollenverständnis
Hintergrundbericht aus KNVO AKTUELL
November 2001
Patienten sollen künftig stärker in die Entscheidungsprozesse im Gesundheitswesen einbezogen werden. Auf diesen Nenner verständigten sich Vertreter der Ärzteschaft, der Politik, der Krankenkassen und der Selbsthilfe auf dem Symposium „Patienten-beteiligung im Gesundheitswesen“, das die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am 25. und 26. Oktober veranstaltet hat. Geplant wird nun unter anderem, Patienten stärker in die Arbeit des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen einzubinden.
„Wir verstehen uns als Partner der Patienten, mit denen wir auf gleicher Augenhöhe kommunizieren wollen“, sagte Dr. Manfred Richter-Reichhelm. Der Vorsitzende der KBV verleiht damit einem Arzt-Patienten-Verhältnis Ausdruck, das sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt hat: vom eher paternalistisch geprägten zu einem mehr partnerschaftlichen Verhältnis. Dabei findet die Kooperation nicht nur individuell in der Praxis, sondern auch Institutionen statt.
Die KV Nordrhein beispielsweise richtete vor über zehn Jahren die erste Kooperationsberatungsstelle Selbsthilfe und Ärzte (KOSA) ein, regelmäßig finden Fach- und jährlich ein Mal ein Round-Table-Gespräch mit Vertretern der Selbsthilfe-Organisationen statt. In mehreren Ärztekammern wurden Patientenvertreter in die Ethikkommissionen berufen. Und auf Bundesebene haben KBV und die Bundesärztekammer jüngst das so genannte Patientenforum initiiert. In diesem Forum arbeiten die Dachorganisationen der Ärzteschaft und der Selbsthilfe gleichberechtigt zusammen. Erster Arbeitsschwerpunkt ist, die Qualität von Patienteninformationen zu verbessern. In Kooperation mit der Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung werden vor allem Informationen im Internet bewertet. Der Patient erhält somit einen Aufschluss darüber, welche medizinischen Websites vertrauenswürdig sind.
Nicht nur die Ärzte sind auf die Patienten zugegangen. Eine stärkere Patientenorientierung hatten SPD und Bündnis 90/Grüne in der Koalitionsvereinbarung auf die gesundheitspolitische Agenda gesetzt. Sie wollten den Patient in den Mittelpunkt rücken. Ausdruck fand dies nach Worten von Dr. Edwin Smigielski, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG), unter anderem im Rahmen der Gesundheitsreform 2000. So sei Prävention wieder verankert und die Förderung von Patientenberatungsstellen eingeführt worden. Weitere gesetzliche Initiativen zur Bürgerbeteiligung im Gesundheitswesen scheint das BMG bis zur Bundestagswahl nicht mehr zu verfolgen. Regina Schmidt-Zadel, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD stellte klar, dass es in dieser Legislaturperiode auch kein Patientenschutz- bzw. rechtsgesetz geben werde. Dieses wird vor allem von Verbraucherschützern gefordert.
Mehr Kooperation mit Patienten, diesem Credo verschloss sich auf dem Symposium niemand. Doch wie weit soll sie nun gehen? „Im Mittelpunkt steht der Patient – aber im Vordergrund das Geld“, umriss Dr. Leonhard Hansen, Zweiter Vorsitzender der KBV, ein wesentliches Problem der Entscheidungsbeteiligung von Patienten zum Beispiel an die Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung. Wenn die Patienten hier mitentscheiden dürften, dann müssten sie auch Verantwortung übernehmen, sagte der Zweite Vorsitzende der KBV. Dabei fielen die Entscheidungen zum Beispiel im Bundesausschuss unter dem Druck enger Budgets und damit dem Zwang zur Priorisierung von Leistungen, die gesetzlich Versicherten zur Verfügung stünden – oder eben nicht. Würde eine Leistung zur Therapie der Krankheit A in den Katalog der GKV aufgenommen, könnte für die Leistung zur Behandlung der Erkrankung B nicht mehr ausreichend Geld vorhanden sein.
Wohin die Übernahme von Verantwortung für knappe Ressourcen führen kann, lässt sich in Großbritannien beobachten. Dort ist die Patientenbeteiligung weit fortgeschritten, gleichzeitig aber auch die Rationierung – formal mitgetragen von den Vertretern der Patienten. Dieses Dilemma schien den Vertretern der Patienten in Königswinter wohl bewusst zu sein. So forderte der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, Christoph Nachtigäller, für den Bundesausschuss lediglich eine „qualifizierte Beratungsbeteiligung“.
Der Mitarbeit der Patienten in den Entscheidungsgremien steht indessen noch ein noch ein Problem im Wege: das der Legitimation der Vertreter. Denn in vielen Bereichen gebe es mehrere Organisationen, die für sich den Vertretungsanspruch erheben, erläuterte Richter-Reichhelm. Diese stünden nicht selten in einer unproduktiven Rivalität. Erschwerend komme hinzu, dass die Finanzierung mancher Organisation nicht ausreichend geklärt sei und über Sponsoring namentlich der pharmazeutischen Industrie Abhängigkeiten bestehen könnten. Dies mache es nicht sinnvoll, die „dritte Bank“ im Bundesausschuss in Kürze mit Patientenvertretern zu besetzen.
Der KBV-Vorsitzende schlug vor, Ombudsleute in die Arbeit beratend einzubeziehen. Auch hier gelte es jedoch zu klären, „wer seriös arbeitet, sich solide und unabhängig finanziert und gute Arbeit macht“. Schon heute könnten die Patientenorganisationen Stellungnahmen zu den im Bundesausschuss beratenen Behandlungsmethoden abgeben, sprich: von der Möglichkeit der Anhörung Gebrauch machen. Verankert seien darüber hinaus Anhörungsrechte für die Erarbeitung von Richtlinien durch den Bundesausschuss gemäß § 92 Sozialgesetzbuch V, in denen das Maß für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragsärztliche Versorgung bestimmt wird.
Unabhängig von der stärkeren Beteiligung sind nach Ansicht Nachtigällers die Rechte der Patienten klarer festzulegen. Derzeit seien diese zum Beispiel im Sozialgesetzbuch V verstreut und mit unterschiedlichen, unscharfen Begrifflichkeiten kodifiziert. So werden die Patientenvertreter mal als Patienten, mal als Betroffene oder Selbsthilfe umschrieben. Um die Transparenz zu fördern sicherte Richter-Reichhelm zu, den Patienten tieferen Einblick in die Entscheidungsprozesse der Selbstverwaltungs-Gremien zu gewähren. Die Selbsthilfevertreter forderte er auf, die Patienten dafür über die Budgetzwänge der Ärzte aufzuklären. Schließlich sei auch dies ein Beitrag für ein besseres partnerschaftliches Verhältnis
Stichwort: Patientenbeteiligung
Unter dem Begriff „Patientenbeteiligung“ werden Ansätze verstanden, das Gesundheitswesen stärker an den Bedürfnissen der Bürger und Patienten zu orientieren, ihre Beteiligungschancen zu erhöhen und ihre Stellung grundsätzlich zu stärken. Sie sollen aktiv das Gesundheitssystem mitgestalten können.
Zu unterscheiden sind individuelle und kollektive Rechte. Die individuellen Patientenrechte sind in Deutschland gut ausgestaltet, etwa das Recht auf freie Arztwahl und Aufklärung. Defizite machen Gesundheitswissenschaftler bei den kollektiven Rechten aus, die eine institutionalisierte Beteiligung von Patientenvertretern regeln.
Formen der Patientenbeteiligung
Mit Formen und Möglichkeiten der „Bürgerbeteiligung im Gesundheitswesen“ haben sich in einem Rechtsgutachten für das BMG Prof. Dieter Hart und Prof. Robert Francke beschäftigt. Demnach kann die Beteiligung nach verschiedenen Modellen organisiert werden:
* Verfahrensbeteiligung (z.B. Anhörung, Stellungnahme)
* Beratungsbeteiligung
* Entscheidungsbeteiligung (z.B. Mitentscheidungs- oder Zustimmungsrechte)
Nach Ansicht der Gutachter sind die Modelle der Verfahrens- und Beratungsbeteiligung zu bevorzugen.
Die Einbindung der Patienten wiederum könne erfolgen durch:
* Wahl der Entsender
* Bestellung durch die Institution, bei der vertreten werden soll
Hier empfehlen die Gutachter das Bestellungsmodell, wobei die Auswahl nach Ausschreibung und Bewerbung für die jeweilige Aufgabe erfolgen solle. Die bestellende Institution wählt den Vertreter dann auf Grund seiner Eignung bzw. sachlichen Legitimation aus. Hierfür haben Francke und Hart Kriterien aufgestellt, darunter die Unabhängigkeit der Interessenvertretung, die Qualifikation des Vertreters und die Festigkeit der Organisation, für die er auftritt.
Hintergrundbericht aus KNVO AKTUELL
November 2001